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Wo ist Jean Monnet? - Einwurf von EUD-Generalsekretär Christian Moos

EUD-Generalsekretär Christian Moos fordert ein neues Aktionskomitee für die Vereinigten Staaten von Europa nach dem Vorbild des von Jean Monnet nach dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft ins Leben gerufenen Zusammenschlusses von proeuropäischen Politikerinnen und Politikern und Sozialpartnern.

Jean Monnet (M) in seiner Funktion als Präsident der Hohen Behörde der EGKS bei einer Pressekonferenz am 10.01.1953. © European Union 2021 - Source : EP

Dieser Beitrag wurde am 29.08.2024 von Euractiv.de erstveröffentlicht.

Am 30. August jährt sich zum siebzigsten Mal das Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG). Deren Architekt, Jean Monnet, trat zwar von seinem Amt als Präsident des Vorläufers der Europäischen Kommission zurück. Er verzagte aber nicht, sondern gründete ein europäisches Aktionskomitee für die Vereinigten Staaten von Europa. Dieses sollte wichtige Impulse geben für die wenige Jahre später verabschiedeten Römischen Verträge. Auch 2024 steckt Europa scheinbar in einer integrationspolitischen Sackgasse. Aus dieser herauszufinden, braucht es keine symbolträchtige unverbindliche Veranstaltung, keine Neuauflage der Konferenz zur Zukunft Europas. Wenn für einen Konvent aktuell wichtige politische Voraussetzungen fehlen, so ist es doch höchste Zeit, diesem jetzt den Boden zu bereiten. Der Raum für ein neues Aktionskomitee ist da.

Das Scheitern der EVG war eine integrationspolitische Katastrophe. Gaullisten und Kommunisten, die nach 1951 eine für die weitere europäische Integration negative Mehrheit bildeten, bekämpften die Idee einer europäischen Föderation. Insbesondere die Aufgabe der nationalen Souveränität in der Verteidigung erschien auch vielen Sozialisten undenkbar. Dennoch gab Monnet nicht auf. Vielmehr schuf er ein Netzwerk einflussreicher Politikerinnen und Politiker und gesellschaftlicher Akteure, die den Ball im Spiel hielten. Dieses trug entscheidend dazu bei, den erfolgreichen Abschluss der Römischen Verträge 1957 vorzubereiten.

Gewiss blieben die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und Euratom sowie die bereits seit 1952 bestehende Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl weit hinter dem Ziel einer Politischen Union zurück. Dennoch ist all das, was nach 1957 an supranationaler Integration erreicht wurde, einzigartig in der Welt und mit Blick auf die europäische Geschichte nahezu ein Wunder. Aus westdeutscher Perspektive war auch die Aufnahme in die Nato und damit die enge Westbindung ein keineswegs selbstverständliches Ereignis.

70 Jahre nach dem Scheitern der EVG mag es auch Parallelen geben zur Zeitenwende, die Bundeskanzler Scholz im Februar 2022 ausgerufen, Deutschland bisher aber nur in Ansätzen verwirklicht hat. Fakt ist, dass der russische Neoimperialismus und der Ukrainekrieg ebenso wie der Koreakrieg, der vor 74 Jahren begann, enorme Auswirkungen auf die europäische Ordnung haben. Die russische Aggression hat nicht zuletzt die Erweiterungsfrage aktualisiert und damit auch die einer dafür unverzichtbaren EU-Reform. Letztere kann aus föderalistischer Sicht nur in einer entschlossenen Vertiefung der Integration bestehen.

Ob der bisherige Ideengeber weiterer Integration, Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron, noch die Kraft findet, der europäischen Einigung neuen Schwung zu verleihen, ist eher ungewiss. Dass Macrons Bemühungen fruchtlos blieben, hat vielfältige Ursachen, für die Berlin keine geringe Mitverantwortung trägt. Fest steht jedenfalls, dass die fehlenden Fortschritte weder die europäische Sicherheit erhöht noch den Wohlstand Europas vergrößert haben. Neue Integrationsimpulse müssen jedoch nicht zwangsläufig aus Paris kommen.

Es gibt heute eine große europäische Freistelle für neue Integrationsimpulse. Die Frage ist nur, welche Frauen und Männer das Format haben, diese zu besetzen. Für einen erfolgreichen Konvent, der Europa voranbringt und nicht rückabwickelt, fehlen aktuell wichtige politische Voraussetzungen. Zu viele aktuelle Regierungen sind entweder schwach, oder es sind gar integrationsskeptische, wenn nicht offen integrationsfeindliche Kräfte an ihnen beteiligt. Zu viele der aktuell in den 27 Hauptstädten Verantwortung tragenden Akteure teilen die europäischen Werte nicht mehr, wie sie nicht erst in Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union niedergelegt wurden, sondern schon in der Schuman-Erklärung zum Ausdruck kamen. Auch eine Neuauflage der Konferenz zur Zukunft Europas führt nicht zum Ziel, denn das Format war zu sehr auf mediale und weniger auf politische Wirkung angelegt.

Die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger will ein gutes Leben in einem sicheren, freiheitlichen, wohlhabenden Europa mit offenen Binnen- und kontrollierten Außengrenzen, das ihnen Chancengleichheit bietet und extremer Armut und sozialem Ausschluss wirksam entgegenwirkt. Sie wünschen sich eine rechtsstaatliche Demokratie, die ihnen ein gutes und ruhiges Leben ermöglicht. Wer ihnen dies sichern kann, findet ihre Unterstützung.

Dies alles zusammengenommen wäre es durchaus an der Zeit für ein neues Aktionskomitee für die Vereinigten Staaten von Europa. Dieses müsste wie 1955 offen sein für alle integrationswilligen, konstruktiven politischen Kräfte. Es auf eindeutige Föderalistinnen und Föderalisten zu beschränken, wäre der falsche Weg, denn diese hatten zu keiner Zeit klare Mehrheiten in Europa. Sie gaben aber immer schon entscheidende Impulse, waren stets unverzichtbare Avantgarde für alle wichtigen Einigungsschritte. Eben darin liegen ihr Verdienst und ihre historische Bedeutung. Wo also ist eine oder ein neuer Jean Monnet, der diese Sammlung beginnt, die schon nach wenigen Jahren zu einem neuen Konvent führen kann?


Christian Moos ist Generalsekretär der überparteilichen Europa-Union Deutschland e.V. und Mitglied im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss.